Blaue Sonne - Roter Tod: Teil 2

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Alessa Angeli brauchte nie besonders lange, um wach zu werden. Zögern war etwas, das sie sich in ihrer Branche überhaupt nicht leisten konnte. Der Don duldete keine Nachlässigkeiten bei seinen Untergebenen, weder im Dienst, noch im Privatleben. So dauerte es keine fünf Sekunden, bis sie sich darüber klar war, was sie aus dem Schlaf geweckt hatte. Marco hatte wieder einen seiner Alpträume. Besorgt schüttelte sie ihren Gatten, bis er verschlafen blinzelte und sich mit einem Stöhnen neben ihr aufrichtete.
„Du hast geträumt, caro“, flüsterte sie und strich sanft über seine schweißüberströmte Stirn. „Wieder diese schrecklichen Dinge?“
Er nickte und schaute sich mit vor Entsetzen geweiteten Augen um. Marco Angeli, einst bester „Cleaner“ in der großen und einflussreichen Familie von Don Carlo Minelli, war nur noch ein Schatten seiner selbst. Dunkle Ringe hatten sich unter seinen rehbraunen Augen mit den langen, fast zu sinnlichen Wimpern gebildet und sein Körper wirkte ausgemergelt. Die Dämonen in seinem Kopf forderten auch physischen Tribut, nicht nur in Form von Schlafstörungen sondern auch als Appetitlosigkeit und mittlerweile chronische Migräne.
„Du musst einen Arzt aufsuchen, caro. Der Don verliert langsam die Geduld mit Dir, und Du weißt, was das bedeutet. Ich bin zu jung, um Witwe zu sein.“

Die Worte waren weniger hart gemeint, als sie ausgesprochen worden waren. Im siebten Ehejahr waren Marco und Alessa nicht mehr das turtelnde Paar, das die Nächte mit wilden Feiern und die Tage im Bett verbracht hatte. Die Verliebtheit war jedoch einer tiefen, wenn auch nicht unbedingt leidenschaftlichen Liebe gewichen. Sie vertrauten einander bedingungslos und gaben sich Halt in einer Gesellschaft, in der das Schicksal eines einzelnen nicht einmal eine kleine Schlagzeile in den sensationslüsternen Medien wert war. Beide waren einmal fremdgegangen, hatten sich aber verziehen, trotz heftiger Szenen, die bei einem italienischen Ehepaar ebenso unvermeidlich waren wie das allsonntägliche Essen bei Marcos Mutter nach dem Besuch der Kathedrale von Ostia.
Jahrelang hatten sie gemeinsam die Aufträge des Don erledigt, ein eingespieltes Team, das bereit war, jede Herausforderung anzunehmen, ob es sich nun um die Beschaffung eines kostbaren Sammlerstücks, die Sabotage an der industriellen Anlage eines Konkurrenten oder die Beseitigung eines Verräters gehandelt hatte. Die Angelis galten als eine der effizientesten Waffen der Familie. Wer sich mit einem von ihnen anlegte, hatte zwangsläufig auch den anderen am Hals. In den letzten Tagen war Alessa jedoch zunehmend allein unterwegs gewesen, da Marco mehrere fast fatale Fehler unterlaufen waren, die aus seinem momentanen Zustand resultierten. Auch heute Nacht würde sie ohne ihn losziehen, wie ihr ein weiterer Blick auf das Häufchen Elend neben ihr verriet.

Seufzend erhob sie sich, schlüpfte in ihren Bademantel und ging in die Küche, um ein Frühstück zuzubereiten. Ihre Finger wirbelten geschickt über das Auswahldisplay der Allstar Noblesse de Luxe, und wenige Minuten später zog der Duft von frischen Eiern mit Speck, Espresso, Orangensaft und Pfannkuchen durch das Appartement. Marco erschien in der Küchentür und gähnte, während er sich seinen Dreitagebart kratzte.
„Ich nehme nur einen Saft, Piccolina. Und ein paar Bayer-Turbo für den Kopf.“
„Dio cane, Marco! Du setzt Dich gefälligst auf Deinen Hintern und isst, oder ich werde Dich an den Stuhl fesseln, Dich bewusstlos schlagen und es Dir mit dem Trichter verabreichen.“
Alessas grüne Augen blitzten vor Zorn. Marco, der seine Gattin gut genug kannte, setzte sich schweigen hin und begann, lustlos auf einem Pfannkuchen herumzukauen.
„Was steht heute auf dem Programm?“
„Für Dich nichts. Schau Dich doch nur an, was aus Dir geworden ist. Wo ist der stattliche Mann, den ich geheiratet habe? Der mit dem Lausbubengrinsen und den breiten Schultern, dem jedes Mädchen in Ostia auf den strammen Arsch geschielt hat? Du bist am Ende, Marco. Mach so weiter, und ich lasse Dich in die Klapse einweisen.“
„Es geht schon, ich bin nur etwas müde. Das geht vorbei.“
„Tut es das?“ Alessa verdrehte die Augen und schlug sich gegen die Stirn. „Wir hatten bereits sechs Wochen keinen Sex mehr, Marco. Nicht, dass ich so rollig wäre, dass ich nicht eine Weile darauf verzichten könnte, aber irgendwann ist es genug. Man könnte meinen, Du hättest eine heimliche Geliebte.“
Sie zögerte und sah ihm tief in die Augen.
„Du hast doch nicht, oder? Diesmal wäre es Dein Tod, das schwöre ich Dir. Mir hier den Sterbenskranken vorspielen und klammheimlich die halbe Nachbarschaft vögeln, während ich das Geld verdiene! Ja, das würde ich Dir auch noch zutrauen.“ Sie wurde leiser, und ihre Augen füllten sich mit Tränen.
„Ich meine es ernst; wenn Du es noch einmal tust, bringe ich Dich um. Hörst Du mir überhaupt zu?“
Kopfschüttelnd betrachtete sie ihren Ehemann, der mit dem Kopf zwischen Rührei und Speckstreifen auf dem Teller lag und schnarchte.
„Männer. Was hat sich Gott nur dabei gedacht, als sie Euch erschaffen hat?“


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