Blaue Sonne - Roter Tod: Teil 6
Unter ihm lag eine große Halle, deren Wände mit der ekelhaftesten Form von Pornographie dekoriert waren, die er jemals gesehen hatte. Er blickte an sich hinab und bemerkte, dass seine Kleidung wie gewohnt schwarz, aber irgendwie altertümlich aussah, obwohl er nie ein Freund der kolonialen Retro-Mode gewesen war. In der Hand hielt er ein schlankes Schwert, dessen Klinge in einem unheilvollen Rot glühte und die ein leises Wispern von sich gab, von dem er nur jedes fünfte Wort verstand. Zwei davon nahm er jedoch mit erschreckender Deutlichkeit wahr: Tod und Blut.
Auf der anderen Seite der Galerie, auf der er sich befand, konnte er die Umrisse einer Frau ausmachen, die wie er dunkle Kleidung trug.
„Alessa“, dachte er, musste sich jedoch berichtigen. Diese Frau war größer und muskulöser als seine Gattin. Es war die gleiche Unbekannte, der er schon mehrfach in seinen Träumen begegnet war. Unbekannt, und doch so vertraut.
In der Halle wurde es lauter, als eine Prozession von einem guten Dutzend vermummter Männern hereinkam, die in altertümlichem Latein grässlich Choräle sangen und stinkende Weihrauchfässchen schwenkten. Sie strebten auf einen Thron zu, der sich direkt unter seiner Position befand. Er betrachtete diesen näher und erschrak. Auf ihm saß eine aufgedunsene, dämonenartige Gestalt, die gierig an zwei Schläuchen saugte, welche aus den Körpern zweier mit dem Kopf nach unten gekreuzigter Männer rechts und links des Throns direkt in ihren Mund liefen. Diese Blasphemie versetzte ihn in rasende Wut. Alle Vorsicht vergessend sprang er über die Brüstung und stürmte mit erhobenem Schwert auf die Bestie zu.
„Stirb, Ausgeburt der Hölle!“
Aus dem Augenwinkel nahm er wahr, dass die Unbekannte ebenfalls in die Halle gesprungen war und leichtfüßig auf den Thron zulief, wobei sie ein blau flackerndes Energieschwert schwang. In diesem Moment ließ ihn ein explosionsartig einsetzender Kopfschmerz aufschreien und in die Knie brechen.
„Diene der Lamia“, wisperte eine widerwärtige Stimme in seinem Kopf. Wie eine Marionette erhob er sich, von einem fremden Willen gelenkt, und stellte sich der Unbekannten entgegen, die nun fast den Thron erreicht hatte. Verblüfft blieb sie stehen und ließ ihr Schwert sinken. Mit abgehackten Bewegungen ging er auf sie zu und hob seine eigene Klinge zum Schlag. Sie sah ihn mit ihren schwarzen Augen nur traurig an, während eine einzelne, blutige Träne über ihre Wange lief.
„Für die Lamia“, hörte er sich mit rauer, unvertrauter Stimme schreien.
Schweißgebadet und mit entsetzlichen Kopfschmerzen erwachte Marco Angeli in seinem Schlafzimmer. Der Platz an seiner Seite war leer, von fern verkündeten die Glocken der Kathedrale die Mitternachtsstunde, wobei jeder Schlag in seinem gepeinigten Kopf ein feuriges Inferno auslöste. Er kroch aus dem Bett, schleppte sich unter die Druckdusche und ließ sich eine volle Viertelstunde lang von eiskaltem Wasser massieren. Dann aktivierte er das VMTV und ließ eine Verbindung zur Kreuz-Christi-Klinik herstellen.
„Bitte, ich brauche Hilfe“, keuchte er mit letzter Kraft der entsetzten Nachtschwester entgegen. Fünf Minuten später traf der Notarzt-Gleiter ein.