Blaue Sonne - Roter Tod: Teil 3
Chief Captain Peter Heller betrat widerwillig das Leichenschauhaus und rümpfte die Nase, als er das vertraute Aroma der Desinfektions- und Konservierungsmittel einatmete. Doc Buehler stand am Seziertisch, den langen Kittel mit ekelhaften Flecken übersät und ein vorschriftswidriges Aromastäbchen im Mundwinkel. Heller hasste Raucher noch mehr als Mörder. Letztere hatten zumindest in der Regel ein Motiv, während erstere aus nicht nachvollziehbaren Gründen ihre Gesundheit ruinierten, um irgendwann den Krankenkassen auf der Tasche zu liegen. Als er seine vierzehnjährige Tochter vor ein paar Tagen mit einem Aromastäbchen erwischt hatte, hatte er es ihr aus dem Mund geschlagen und ihr anschließend eine so gehörige Tracht Prügel verabreicht, dass ihm noch stundenlang die Hand wehgetan hatte. Es war zum Verrücktwerden. Er konnte als Leiter der Sicherheitsabteilung auf der Randstation Golden Gate I seine Familienangehörigen vor fast allem schützen, nur nicht vor ihnen selbst.
„Das verdammte Dreckzeug wird Dich irgendwann umbringen, Flint. Wann hörst Du endlich mit dem Scheiß auf?“
Buehler zuckte die Achseln, löschte das Stäbchen und wendete sich wieder seinem „Patienten“ zu.
„Der hier hatte nichts dagegen, Peter. Zumindest war er so höflich, zu schweigen.“
„Und was haben wir hier, dass Du mich dafür aus dem Schlaf reißt?“
„Kam heute früh mit der Floyd, einem Erzfrachter herein. Der Kapitän sagte etwas von einer rätselhaften Krankheit. Im Kühlfach liegen noch zwei von der Sorte, selbe Symptome. Ich habe das Schiff und die Überlebenden vorsichtshalber unter Quarantäne stellen lassen.“
„Und? Muss ich Rotalarm geben?“
„Negativ, Chief. Ich konnte in seinem Blut keine Anzeichen schädlicher Mikroorganismen, Viren oder Bakterien feststellen. Genauer gesagt, ich konnte nicht einmal Blut in ihm feststellen.“
Heller riss die Augen auf.
„Du verscheißerst mich, Flint.“
„Wenn ich es doch sage. Er ist völlig blutleer, die anderen beiden auch. Aber er hat außer einem Kratzer am Arm, der nicht tief genug ist, um ihn ausbluten zu lassen, keinerlei Verletzungen. Sein Blut hat sich buchstäblich in Luft aufgelöst.“
Der Chief Captain verschränkte die Hände hinter dem Rücken und lief neben dem Leichnam auf und ab.
„So was ist mir ja noch nie untergekommen. Was kann das sein? Strahlung?“
„Ich dachte mir auch so was und habe das Schiff von einem Sicherheitsteam untersuchen lassen. Nichts dergleichen. Die Außenhaut ist völlig unversehrt, lediglich die Aufbauten weisen die üblichen Sprungschäden auf. Was immer das war, es ist mit nichts vergleichbar, was wir je hatten.“
„Hast Du mal die medizinischen Vergleichsdatenbanken im Web abgefragt?“
„Auch das. Und rate mal, was ich gefunden habe?“
„Nichts?“
„Weniger als das. Die InSic hat meinen Account schneller gesperrt, als Du ‚Fick Dich‘ sagen kannst. Wir bekommen demnächst Besuch.“
Heller verdrehte die Augen und stöhnte laut. Das hatte ihm gerade noch gefehlt. Offenbar waren die Toten von der Floyd mit irgend etwas zusammengetroffen, was in den Einflussbereich der Inneren Sicherheit gehörte. Vielleicht eine neuartige Biowaffe oder ein anderes, streng geheimes Forschungsprojekt. Das bedeutete nicht nur, dass man ihm den Fall sofort entziehen würde, sondern auch, dass sich ein Haufen unangenehmer Schnüffler auf seiner Station niederlassen, seinen Kaffee trinken, sein Büro okkupieren und seine Leute in der Gegend herumkommandieren würde.
„Flint, sag den Jungs an der Quarantäneschleuse Bescheid. Ich schnappe mir einen Sicherheitsanzug und schau mir die Floyd und ihre Besatzung mal persönlich an, bevor die Sesselfurzer auftauchen.“
„Habe ich Dir schon gesagt, dass wir eine strikte Order erhalten haben, nichts anzufassen, bevor die Agenten hier eintreffen?“, bemerkte Buehler, während er sich bereits das nächste Aromstäbchen zwischen die Lippen schob und den Selbstentzünder einrasten ließ.
„Hast Du nicht, aber davon bin ich ohnehin ausgegangen. Nur interessiert es mich einen Scheißdreck. Schönen Tag noch, und melde Dich sofort, wenn Du irgend etwas über die Todesursache herausfindest.“
Heller lächelte grimmig und lief zur Tür, blieb jedoch noch einmal stehen und schaute Doc Buehler durchdringend an.
„Und... Flint?“
„Ja, Chief?“
„Hör endlich mit der verschissenen Qualmerei auf.“