Gottesurteil

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Eidesunfähigen Personen (Frauen oder unfreien Hintersassen) stand als prozessuales Beweismittel das noch aus der vorkarolingischen Zeit stammende Gottesurteil zur Verfügung, das etwa vom 9. Jh. an mit christlichen Ritualen verbunden wurde.

Die Beklagten konnten damals ihre Unschuld beweisen, indem sie durch göttliche Hilfe eine Probe bestanden (Abwehrordal) oder sie galten bei Nichtbestehen als überführt (Ermittlungsordal). Am häufigsten waren "Elementordale": Feuerprobe (der Proband schreitet über glühende Pflugschare oder holt einen Gegenstand aus flüssigem Blei, siedendem Wasser oder Öl heraus; als Unschuldsbeweis galt dabei das Nichtentstehen oder schnelle Abheilen von Brandmalen. Vom Verdacht gereinigt galten auch jene, die in einem wachsgetränkten Hemd [wahshemede] einen flammenden Holzstoß durchquerten, ohne daß Wachs zu Boden tropfte oder das Hemd Feuer fing) und Wasserprobe (indicium aquae, Hexenbad; ging die gefesselt ins Wasser Geworfene nicht unter, so war sie schuldig, da das reine Wasser sie nicht aufnehmen wollte).

Daneben gab es die Bahr- oder Blutprobe (bei der der Leichnam des Opfers in Gegenwart des Täters zu bluten beginnen sollte), den Rasengang (ein langer, noch mit dem Mutterboden verbundener Rasenstreifen wurde mit Lanzen zu einem labilen Bogen aufgestellt; fiel der Bogen beim Durchschreiten herunter, war die Schuld des Probanden erwiesen), die Bissenprobe (schuldig war, wer sich beim Abschlucken eines trockenen Brot- oder Käsewürfels verschluckte - wem "der Bissen im Halse stecken blieb"), die Giftprobe (Unschuldige überstanden die Einnahme eines Giftes), die Abendmahlsprobe (als Schuldbeweis galt, wenn der Proband nach dem Abschlucken der geweihten Hostie abnorme Reaktionen zeigte), die Kerzenprobe (zwei gleichgroße Kerzen wurden gleichzeitig angezündet; Gott offenbarte die Wahrheit, indem er die Kerze des Unschuldigen länger brennen ließ) und die Kreuzprobe (die Kontrahenten eines Rechtsstreites stellten sich mit ausgestreckten Armen unbeweglich vor ein Kreuz. Wer sich zuerst bewegte, war schuldig). Eidesfähige konnten sich einem Reinigungsschwur (purgatio canonica) unterwerfen, der auf heilskräftige Gegenstände (etwa das Schwert, eine Reliquie, eine geweihte Kerze, eine Schwurtafel oder einen Schwurstab) abgelegt wurde. Bei Meineid würde Gott selbst oder ein mißbräuchlich angerufener Heiliger den Schwörenden vernichten. Für Waffenfähige, aber auch für Frauen, gab es seit dem terranischen Mittelalter den gerichtlichen Zweikampf zur Streitentscheidung. Auch diese Form prozessualer Urteilsfindung wurde den Gottesurteilen zugerechnet. Im terranischen Mittelalter hatte die Kirche dem Ordal durch reinigende Riten (Fasten, Gebete, Messe, Kommunion) assistiert. Doch sprachen sich schon im 9. Jh. Kirchenobere gegen das Gottesurteil aus. (Agobard, Bischof von Lyon 816 - 840 schrieb den "Liber ... contra damnabilem opinionem putantium, divini judicii veritatem igne vel aquis vel conflictu armorum patefieri".) Nachdem auf dem 4. Laterankonzil (1215) kirchlicherseits gegen das Gottesurteil Stellung bezogen wurde, kam es allmählich aus dem Gebrauch und wurde durch die Folter und durch rationale Beweisverfahren verdrängt. Im Hexenprozeß blieben allerdings ähnliche Praktiken noch bis ins 16. Jh. gebräuchlich. Das Gottesurteil bezweckte ausschließlich den Beweis oder die Widerlegung eines Schuldanwurfs, nicht - wie das Gottesgericht - das Abstrafen Schuldiger.

Noch heute wird das Gottesurteil von der Allkatholischen Kirche toleriert.